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Mit Startups die Twin Trans­formation beschleunigen

Twin Transformation und Open Innovation sind auch in der Stahlindustrie unerlässlich, insbesondere wenn man als Produzent wie ThyssenKrupp Stahl in einem Land mit hohen Arbeitslöhnen, hohen Energiepreisen und hohen Umweltauflagen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben muss. ThyssenKrupp hat sich jahrelang auf eine Diversifi­kations­strategie konzentriert (z. B. Aufzüge, Marine, Automotive), anstatt das Kerngeschäft Stahl konsequent zu transformieren. Das hat vermutlich Ressourcen und Management­aufmerksamkeit von den Problemen der Stahlproduktion und der dringend erforderlichen Twin Transformation abgezogen.

Klimaneutrale Stahlerzeugung mit Wasserstoff statt Kohle
Abbildung: ThyssenKrupp baut Direktreduktionsanlage, Vollbetrieb mit Wasserstoff geplant für 2029 (Grafik: picture alliance/dpa)

Entwicklungsstufen der Twin Transformation in der Stahlindustrie

Die Twin Transformation besteht aus mehreren Entwicklungsstufen, die Unternehmen durchlaufen, um Digitalisierung und Nachhaltigkeit gleichzeitig zu integrieren. Diese Stufen bauen aufeinander auf und umfassen technologische, organisatorische und kulturelle Aspekte:

  1. Grundlagen schaffen:
    Einführung digitaler Technologien und grundlegender Nachhaltigkeits­initiativen, Investition in Basis­digitalisierung (z. B. ERP-Systeme, Sensorik), Identifikation von Einsparpotenzialen bei Energie und Rohstoffen.
  2. Integration von Nachhaltigkeit und Digitalisierung:
    Verknüpfung digitaler Tools mit ökologischen Zielen (z. B. durch IoT zur Prozessüberwachung und -optimierung), Einsatz von Echtzeitdaten zur Effizienzsteigerung, Erste Pilotprojekte für CO₂-arme Technologien (z. B. grüner Wasserstoff).
  3. Skalierung und Transformation:
    Breite Einführung innovativer Technologien und umfassende Transformation der Geschäftsmodelle, Skalierung von grünen Technologien (z. B. Elektrolyseure für Wasserstoffproduktion), Einführung zirkulärer Geschäftsmodelle, datenbasierte Entscheidungsfindung auf Unternehmensebene.
  4. Marktführerschaft:
    Unternehmen sind Vorreiter in der Twin Transformation und profitieren wirtschaftlich, vollständig integrierte, datengetriebene und nachhaltige Geschäftsmodelle, Führungsrolle bei der Branchenumstellung (z. B. als Anbieter grüner Stähle), aktiver Einfluss auf regulatorische Standards.

Exemplarische Einordnung von Stahlkonzernen:

Unternehmen Stufe Beschreibung
Arcelor­Mittal 4 Marktführerschaft Führend bei Technologien wie grünem Wasserstoff und Smart Carbon.
Salzgitter AG 3 Skalierung Fortschrittlich bei der Umsetzung der SALCOS-Initiative.
Voestalpine 2–3 Integration/Skalierung Gute Ansätze in Pilotprojekten, Skalierung noch begrenzt.
Thyssenkrupp 2 Integration Erste Umsetzungen in Digitalisierung und Wasserstoff (Blue Hydrogen).
Tata Steel 1–2 Grundlagen/Integration Schwerpunkt auf Recycling; digitale Integration ausbaufähig.

Während Unternehmen wie ArcelorMittal die Spitze der Twin Transformation erreicht haben, befinden sich andere wie Tata Steel noch in den Anfängen. ThyssenKrupp rangiert ebenfalls noch auf den unteren Plätzen. Die Twin Transformation wird stark durch Investitionen in Wasserstoff­technologie und digitale Plattformen vorangetrieben, für beides fehlten ThyssenKrupp in den letzten Jahren Geld, Konsequenz und Umsetzungseffizienz.

Wie ThyssenKrupp Stahl in die Krise rutschte

ThyssenKrupp Steel, eine der größten Stahlproduzenten Europas, hat in den letzten Jahren mit erheblichen Heraus­forderungen gekämpft, die sowohl auf externe Marktbedingungen als auch auf interne Management­entscheidungen zurückzuführen sind:

  • Die Digitalisierung der Produktionsprozesse und die Entwicklung innovativer Produkte, wie hochfester oder CO₂-armer Stahl, wurden zu langsam umgesetzt. Wettbewerber, insbesondere aus Asien, waren schneller in der Einführung von Technologien wie KI-gestützter Fertigung und smarten Lieferketten.
  • Hohe Fixkosten, ineffiziente Anlagen und unflexible Strukturen führten im Zeitverlauf zu immer größerem Margendruck. Gleichzeitig haben große Kapitalinvestitionen wie das Stahlwerk in Brasilien Verluste verursacht und die Möglichkeit für neue Investitionen beschnitten.
  • Der Markt bewegt sich immer stärker in Richtung CO₂-neutraler Stahlproduktion z. B. mit grünem Wasserstoff. ThyssenKrupp hat vergleichsweise spät mit Investitionen in grüne Technologien begonnen, während Wettbewerber wie ArcelorMittal schneller agiert haben.
  • Wettbewerber aus China und Indien produzieren kostengünstiger und haben gleichzeitig massive staatliche Unterstützung. ThyssenKrupp kämpfte gegen diese Wettbewerbsnachteile, ohne eine klare Differenzierungs- und Nischenstrategie entwickelt zu haben.

Das Management hätte durch eine Kombination aus strategischem Fokus, technologischer Innovation, schlanken Strukturen und proaktivem Umgang mit Megatrends wie der Energiewende und Digitalisierung deutlich erfolgreicher agieren können. Die jüngsten Bemühungen, sich auf grünen Stahl zu konzentrieren, sind ein Schritt in die richtige Richtung, kommen aber möglicherweise zu spät, um die langfristige Marktführerschaft zurückzugewinnen.

Mit Startups die Twin Transformation beschleunigen

Um die Kosten in der Stahlproduktion zu senken und die Fokussierung auf „grüne“ Spezialstähle bei ThyssenKrupp voranzutreiben, gibt es zahlreiche Maßnahmen, die mit gezielten Startup-Kooperationen angeschoben werden können. Denn erfolgreiche Twin Transformation kann mittels Open Innovation massiv unterstützt und beschleunigt werden, insbesondere mit dem "Venture Clienting", d.h. dem Einkauf von innovativen, frisch gereiften Startup-Lösungen anstelle der langsamen + riskanten Eigenentwicklungen (oder der langsamen + riskanten + teuren „Monsterlösungen“ von SAP & Co.).

Die Zusammenarbeit mit Startups als erster Kunde sichert einem Unternehmen den frühzeitigen Test frisch gereifter Innovationen vor anderen Mitbewerbern. Das hätte auch ThyssenKrupp Stahl systematischen tun können und kann es immer noch tun. Hier einige Ansatzpunkte:

Produktionsoptimierung:

IIoT (Industrial Internet of Things), digitale Zwillinge der Anlagen und KI-Steuerung für verbesserte Effizienz & Qualität, für reduzierte Ausfallzeiten, für optimierten Energieverbrauch und für transparente CO₂-Bilanzen. Beispielhafte Startups, Scale-ups und Grown-ups, die für ThyssenKrupp relevant sein können, sind:

  • ThingWorx von PTC ist eine leistungsstarke IoT-Plattform, die speziell für industrielle Anwendungen entwickelt wurde.
    ptc.com
  • Augury entwickelt vorausschauende Wartungs­technologien, die Ausfälle in Produktionsanlagen durch frühzeitige Fehlererkennung verhindern.
    augury.com
  • Matterport ist führend bei der Erstellung immersiver digitaler 3D-Zwillinge für physische Räume, die in verschiedenen Branchen eingesetzt werden.
    matterport.com
  • AVEVA PI bietet eine Plattform für die Echtzeit­analyse von Energieverbrauch und Emissionen zur Steigerung der Effizienz in der Produktion.
    aveva.com
  • Bayanatai hat Algorithmen zur Erkennung von Oberflächen­fehlern auf Stahlblechen entwickelt.
    bayanatai.com
  • Cognite hat sich auf industrielle KI- und Daten­management­lösungen zur Betriebs­optimierung spezialisiert.
    cognite.com
  • NanoStal bietet individuell anpassbare Wärme­behandlungs­lösungen in der Stahlproduktion, angepasst an die unterschiedlichen Eigenschaften des Stahls.
    nanostal.com
  • Onedata hat hochleistungsfähige Daten­management­lösungen entwickelt, die einen einheitlichen Datenzugriff in verteilten Umgebungen ermöglichen.
    onedata.ai
  • Celonis bietet Process Mining- und Process Intelligence-Lösungen für die Stahlindustrie zur Beseitigung von Prozessengpässen und Ineffizienzen.
    celonis.com
  • PSI bietet Tools für die Produktionsplanung und das Emissionsmanagement, darunter die PSImetals Service Platform für die Metallindustrie.
    psi.de
  • Deep Meta hat digitale Zwillinge zur Analyse, Vorhersage und Vermeidung metallurgischer Defekte entwickelt, um die Produktionsqualität zu erhöhen.
    deepmeta.io

Einkaufsoptimierung:

KI-optimierte Rohstoffbeschaffung für stabile Einkaufkonditionen (insbesondere für Eisenerz und Koks), Nutzung von Stahlschrott für Elektrolicht­bogenöfen zur Verringerung der Rohstoffabhängigkeit/-kosten und des CO₂-Fußabdrucks, Blockchain-Technologien für den Produktionsnachweis von CO₂-reduzierten Stählen (z. B. für Automobilindustrie). Beispielhafte Startups, Scale-ups und Grown-ups, die für ThyssenKrupp relevant sein können, sind:

  • Canvass AI bietet Plattformen zur Optimierung der Rohstoff- und Energieeffizienz in der Stahlproduktion durch KI-gestützte Analyse von Produktions­parametern und Materialnutzung.
    canvass.io
  • S1Seven bietet Blockchain-Dienste für Stahl­hersteller, um transparente Liefer­ketten­aufzeichnungen zu ermöglichen.
    s1seven.com
  • SteelTrace hat eine Blockchain-Lösung für Track-and-Trace-Dienste entlang der Stahl-Lieferkette entwickelt.
    steeltrace.co
  • DeepMind (Metals & Mining) hat KI-Lösungen zur Prozess­optimierung in der Stahl- und Metall­industrie mit Fokus auf der Vorhersage von Rohstoffpreisen und Optimierung der Produktion­splanung entwickelt.
    deepmind.google
  • Everledger bietet eine Blockchain-basierte Plattform kombiniert mit KI zur Rück­verfolg­barkeit von Rohstoffen, einschließlich Stahlschrott. Dies hilft, nachhaltige Lieferketten aufzubauen und die Verfügbarkeit von recycelbaren Materialien sicherzustellen.
    everledger.io

Dekarbonisierung:

Wasserstoff statt Kohle als Reduktionsmittel, Elektrolicht­bogenöfen (EAF) auf Wasserstoffbasis für emissionsfreie Stahl­erzeugung, Abwärme-Recycling zur Energie­verbrauch­reduzierung und Wasserstoff­produktion, CO₂-Abscheidung und -Nutzung. Beispielhafte Startups, Scale-ups und Grown-ups, die für ThyssenKrupp relevant sein können, sind:

  • H2 Green Steel / Stegra hat das Ziel einer vollständig emissionsfreien Stahlproduktion durch den Einsatz von grünem Wasserstoff.
    stegra.com
  • Sunfire nutzt Hochtemperaturelektrolyseure, die Abwärme aus der Stahlproduktion integrieren, zur Herstellung von Wasserstoff als Reduktionsmittel.
    sunfire.de/en/
  • Climeworks ist spezialisiert auf CO₂-Abschei­dungs­technologien zur Reduzierung von Emissionen in der Stahlproduktion.
    climeworks.com
  • Boston Metal setzt auf elektrolytische Stahl­produktions­technologie, die Kohle ersetzt und eine klimaneutrale Produktion ermöglicht.
    bostonmetal.com
  • LanzaTech entwickelt Technologien zur Um­wandlung von Abgasen aus Stahlwerken in wiederverwertbare Chemikalien und optimiert die Ressourceneffizienz.
    lanzatech.com
  • Carbon Clean ist führend in der Kohlenstoff­abscheidungs­technologie für die Schwerindustrie.
    carbonclean.com
Hotspots Stahl-Startups weltweit
Abbildung: Hotspots der mehr als 650 Stahl-Startups weltweit (Quelle: StartUs Insights 2024)

Durch Partnerschaften mit diesen und vielen anderen Startups kann ThyssenKrupp also nicht nur die Produktionskosten senken, sondern auch auf innovative und umweltfreundliche Weise die Spezialisierung auf hochwertige Stähle vorantreiben. Solche Kooperationen bringen den Konzern auch in eine Vorreiterrolle bei der Dekarbonisierung der Stahlindustrie.

Erfolgsfaktoren für die Zusammenarbeit mit Startups:

  1. Klare Problemdefinition:
    Startups müssen konkrete Herausforderungen (z. B. CO₂-Reduktion, Energieeinsparung) adressieren können.
  2. Agile Entscheidungsprozesse:
    ThyssenKrupp muss Bürokratie abbauen, um schnelle Zusammenarbeit mit Startups zu ermöglichen.
  3. Portfoliomanagement:
    Testen & Verwerfen vieler Startup-Lösungen und konsequente Implementierung der verbliebenen, erfolgreichen Lösungen, die den besten ROI erzielen.
  4. Professionelle Skalierung:
    Für den Einsatz der Startup-Lösungen im Regelbetrieb sollten auf IT-Skalierung spezialisierte, globale IT-Dienstleister wie z. B. CGI hinzugezogen werden.
  5. Langfristige Partnerschaften:
    Erfolgreiche Kooperationen mit Startups sollten in strategische Allianzen überführt werden, um die Startups möglichst exklusiv zu binden.

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